Mit attrak­tiven Arbeits­zeit­mo­dellen den Fach­kräf­te­mangel in Schach halten: Eine St.Galler Gebäu­de­tech­nik­un­ter­neh­mung testet bis Ende Jahr die Viertagewoche

Die Wirth Gebäu­de­technik AG in St.Gallen testet noch bis Ende Jahr, ob sie die Fünf­ta­ge­woche abschafft und neue Wege geht. 

Die Geschäfts­führer Stefan und Matthias Wirth wagen ein Expe­ri­ment: Die Vier-Tage-Woche. Sie haben vorgängig ihre Mitar­bei­tenden in einer anonymen Umfrage dazu befragt. „95 Prozent haben dem Test­lauf zuge­stimmt“, sagt Stefan Wirth. Die Vier-Tage-Woche wurde am 1. Oktober gestartet. Fazit nach einem Monat: Es gibt einige kriti­sche Anmer­kungen und Fragen, die noch geklärt werden müssen. Das sei bei einem solch ambi­tio­nierten Projekt der Normal­fall, sagt Matthias Wirth. Die Wirth Gebäu­de­technik ist eine der ersten in der Schweizer Baubranche, die den Schritt auf den 1. Januar 2023 defi­nitiv wagen will – voraus­ge­setzt die Beleg­schaft macht mit. „Wir wollen niemandem
etwas aufzwingen“, sagen die Brüder über­ein­stim­mend, die das Fami­li­en­un­ter­nehmen seit 2013 gemeinsam führen.

Die Brüder­haben nun nach gut einem Monat Test­phase die Beleg­schaft zusam­men­ge­rufen und die Mitar­bei­tenden um ihre Meinung betref­fend vier-Tage-Woche gefragt. Diese seien unter­schied­lich ausge­fallen. „Es gibt einige, die an der Fünf-Tage-Woche fest­halten möchten“, sagt Stefan Wirth.
„Wir haben Verständnis dafür. Denn gerade für lang­jäh­rige Mitar­beiter ist eine Umstel­lung nicht ganz einfach.“ Die Vier-Tage-Woche ist nur für das Bauper­sonal gedacht. Die Mitar­bei­tenden in der Admi­ni­stra­tion arbeiten bereits mit flexi­blen Modellen.

Die Arbeiter wollen die Pause zurück

Die Vier-Tage-Woche sieht bei der Firma Wirth so aus: Die wöchent­liche Arbeits­zeit wird bei glei­chem Lohn auf vier, anstatt auf fünf Tage aufge­teilt. Somit soll bei einer 40-Stunden-Woche an vier Tagen zehn Stunden gear­beitet werden. Täglich zehn Stunden heisst von 7 bis 12 Uhr und von 13
bis 18 Uhr. Fünf Stunden am Stück ohne Pause. Die 9‑Uhr-Pause ist gestri­chen, doch jetzt zeigen Rück­mel­dungen aus der Beleg­schaft, dass die Arbeiter diese Pause brau­chen. «Sie sind in der Regel
bei Wind und Wetter draussen, wärmen sich in der Pause auf und verpflegen sich,“ sagt Stefan Wirth. Dass vor allem die älteren Mitar­bei­tenden nur ungern oder gar nicht auf eine Pause verzichten möchten, können die Brüder Wirth verstehen. Ein weiteres Argu­ment für die Pause ist, dass die
Konzen­tra­ti­ons­fä­hig­keit des Menschen nach fünf bis sechs Stunden am Tag sinkt. Kann die Produk­ti­vität der Mitar­beiter demnach wirk­lich steigen, wenn die Arbeits­zeit auf zehn Stunden aufge­stockt wird? Der Test wird es zeigen.
Das Arbeits­mo­dell mit vier Tagen bringt mehr Frei­zeit: Ein Tag in der Woche ist zusätz­lich frei, es bleibt mehr Zeit für Familie oder Hobbys. Es gebe erstaun­li­cher­weise auch Rück­mel­dungen von Mitar­bei­tenden, die keinen zusätz­li­chen Tag frei möchten. „Die Gründe dafür sind verschieden.
Beispiels­weise ist ein Grund, dass die Part­nerin oder der Partner nicht frei hat und deshalb kein Freitag gewünscht ist“, sagt Stefan Wirth.

Entweder Montag oder Freitag frei

Die Geschäfts­lei­tung sammelt derzeit die Argu­mente der Beleg­schaft. «Am Ende wollen wir eine
Lösung, die für alle passt», sagen die Brüder. Sie musste bereits Kompro­misse eingehen. „Damit wir alle Aufträge zu 100 Prozent abdecken können, muss ein Teil der Mitar­bei­tenden am Montag und der
andere Teil am Freitag frei machen“, erklären Wirths. „Die Mehr­heit der Bauar­bei­tenden wollte am Freitag frei haben. Wir konnten das so regeln.“ Diese unter­schied­li­chen freien Tage am Montag und
Freitag sind für Stefan und Matthias Wirth keine einfach zu lösenden Aufgaben für die Eintei­lung auf den Baustellen: Die Zusam­men­stel­lung der Bautrupps sei heraus­for­dernd. „Das Baustellen-Manage­ment hat seine Tücken, weil die Gruppen zwin­gend nach dem glei­chen Arbeitsmodell
arbeiten müssen. Das heisst, die Freitag Montag oder Freitag müssen berück­sich­tigt werden.“ Das Gleiche gelte bei den Lehr­lingen und den Lehr­mei­stern. Das Problem bestünde weniger bei
Grossbaustellen.

So schön es klingt, vier Tage arbeiten, drei Tage frei: Die Heraus­for­de­rungen für die Arbeit­geber sind gross. Das haben auch Stefan und Matthias Wirth fest­ge­stellt. Sie haben sich deshalb von Projekt­be­ginn im Juni mit dem Verband der Gebäu­de­tech­niker Suis­setec kurz­ge­schlossen und
Unter­stüt­zung bei ihrem Vorhaben erhalten. In der Baubranche sei die Vier-Tage-Woche noch kein grosses Thema. Gesamt­ar­beits­ver­trag, Arbeits­ge­setz, Feri­en­an­spruch, Krank­heit, alles Themen, die
ins erste Vertrags­werk einfliessen mussten.

Mangel an Fach­kräften in Schach halten

Trotz allen Stol­per­steinen sind Verwal­tungsrat und Geschäfts­lei­tung der Wirth Gebäu­de­technik AG
über­zeugt, dass die Fünf-Tage-Woche nicht mehr zeit­ge­mäss ist. „Wie viele andere Bereiche leidet die Baubranche sehr“, sagt Stefan Wirth. Es fehle bei ihnen an Sanitär- und Heizungsinstallateuren.
Mit attrak­tiven Arbeits­mo­dellen wolle man den akuten Mangel so gut wie möglich in Schach halten. „Wir wollen mit flexi­blen Arbeits­zeiten ein attrak­tiver Arbei­ter­geber sein.“ Laut Stefan und Matthias Wirth sind Flexi­bi­lität bei den Arbeits­zeiten auch ein Plus oder eine Chance bei der Kinder­be­treuung. Gerade für Väter. Sie wissen aber auch, dass die Skepsis gegen­über einer Vier-Tage-Woche bis Ende Dezember nicht weichen wird. „Wir könnten uns deshalb vorstellen, dass es auf eine viereinhalb-
Tage-Woche hinausläuft.“